Erzähle was über dich….

Ich fotografiere seit meiner Teenagerzeit, aber meine Leidenschaft für das Thema wurde erst 2012 dauerhaft geweckt, als wir unseren ersten New York Besuch planten. Es gibt so viele tolle Bilder aus New York, dass ich einfach dachte, ich muss mehr üben, um überhaupt Fotos dort machen zu dürfen. Und seither ist Fotografie ein großer Teil meines Lebens, vor allem, weil sie mir hilft, einfacher die Welt zu entdecken.

Bin ich irgendwo fremd, erschließe ich mir die neue Gegend fotografisch, versuche mein inneres Bild des Ortes mit meiner Kamera einzufangen – Bilder, die nicht in den typischen Reisemagazinen zu finden sind, aber ein für mich etwas realistischeres und lebendigeres Bild davon zeigen. Meistens wird mein vorgefertigtes, mitgebrachtes Bild eines Ortes recht schnell durch ein neues Gefühl für den Ort und die Menschen dort ersetzt. Und die Fotografien helfen mir, mich später besser an das Gefühl zu erinnern.

Außerdem liebe ich es, Menschen zu fotografieren und gemeinsam mit ihnen herauszufinden, wie sie vor der Kamera sein oder sich geben wollen. Das ist meine vielleicht etwas eigenwillige Art, Menschen ziemlich schnell und intensiv kennenzulernen.

Aus der Pfalz kommend, lebe und arbeite ich heute in Köln.

Was waren deine Inspirationen für dein Projekt?

Meine Frau wollte eigentlich einfach mal in Berlin leben und hat dort eine Stelle gesucht. Stattdessen hat sie freiberuflich ein Projekt dort angenommen und eine kleine Wohnung in Berlin Mitte gemietet. Und so hatte ich auf einmal die Gelegenheit, mir die Stadt fotografisch zu erschließen.

Erläutere ein wenig den Ablauf. In welchem Zeitraum entstanden die Fotos? Hattest du im Vorfeld schon fixe Ideen für das Projekt?

Ich wollte einfach die Stadt kennenlernen und begreifen, was die Menschen dorthin zieht und warum sie bleiben. Und natürlich ein paar Menschen kennenlernen. In dem Jahr, in dem meine Frau dort gearbeitet hat, war ich oft an den Wochenenden dort, manchmal bin ich länger geblieben, manchmal mehrere Wochen am Stück. So konnte ich aus jeder Jahreszeit was für mich mitnehmen.

Mit welchen Models arbeitest du zusammen?

Für dieses Projekt gar nicht mit professionellen Models. Die Menschen im Buch arbeiten bei ganz normalen Behörden oder Unternehmen, sie sind Designerinnen, Lehrer oder Schauspieler, Musikerinnen, Tänzerinnen oder Künstlerinnen; eben jene Menschen, die derzeit nach Berlin strömen oder sich zum Bleiben entschlossen haben.

Aber auch sonst fotografiere ich selten Agenturmodels, auch wenn das natürlich nicht ausbleibt. Aber eingeübte Posen, von denen Models denken, dass ich die sehen will, sind nicht so mein Ding.

Was ist wichtig an deiner Filmauswahl?

Ich habe nicht die ruhigste Hand und ich nutze nicht gerne Stative. Und ich es mag auch nicht, dass die Fotos hinterher aussehen, wie digital aufgenommen. Also halte ich mich meist an Filme ab 400 ISO und höher, die mir Spielraum für die Verschlusszeit geben, ordentlich körnig sind, satte Farben haben oder schöne tiefe Grauwerte. Kodak Portra 400 und 800, Tri-X, Ilford HP5+ und der Kodak TMax, wenn es doch mal schärfer sein soll. Für Portra 160 mach ich ab und zu eine Ausnahme von den hohen ISOs – die Farben sind einfach zu schön, wenn man etwas satter belichtet.

Zur Technik: Welches Equipment benutzt du?

Mein Favorit unter allen Kameras – analog wie digital – ist meine schwarze Leica M6, die ich mir mal günstig bei ebay ersteigert habe, mit einem 50/2 Zeiss Planar vorne drauf. Für Leica-Objektive wollte ich nicht unbedingt eine Niere spenden. Ich komme – nach sehr vielen schlecht fokussierten Bildern – mittlerweile recht schnell mit dem Messsucher zurecht. Die meisten Bilder aus Berlin sind damit entstanden, auch viele der Portraits. Zusätzlich habe ich einige Filme mit einer Canon eos 30 und einem 85 mm Portraitobjektiv bei weit offener Blende aufgenommen. Das Plastikgefühl der Canon ist gegenüber der Leica manchmal etwas seltsam, aber die Bilder sind immer gut. Dazu einen Belichtungsmesser von Gossen, der im Studio auch Blitzlicht messen kann.

Digital habe ich wohl so das Übliche: Canon 5dMKIII und 6D, Sony a7iii. Und mehrere Schubladen mit anderen analogen Kameras.

Warum überzeugt dich die Arbeit auf Film? Wie mischst du digital mit analog und wo siehst du die jeweiligen Vorteile?

Zum einen scheine ich analog näher an etwas Bleibendem dran zu sein, einem echten Foto. Ich fotografiere langsamer und genieße mehr den Moment. Und sitze anschließend weniger am Computer, da Du mir beim Scannen schon viel der Computerarbeit abnimmst, indem Du die Farben so korrigierst, wie ich sie haben will.

Digital fotografiere ich hauptsächlich, wenn ich ein Projekt ursprünglich digital begonnen habe, z. B. die bisher etwa 25.000 km Roadtrips durch die USA. Wenn ich hohe Auflösungen brauche oder viel Auswahl, wie bei einigen Portraitarbeiten, greife ich auch eher zur Digitalkamera. 

Zum Buch: Erzähle uns etwas über die Gestaltung. Wie schwierig war die Selektion der Bilder? Wo kann man das Buch kaufen?

Ich hatte etwa 2.800 Bilder aus knapp 80 Filmen beisammen und mir war von vornherein klar, dass ich daraus diesmal kein Buch mit Hardcover machen wollte. Mir schwebte ein Magazin-Look für die analogen Fotos vor – mit dem zusätzlichen Vorteil, dass es etwas günstiger im Print-on-Demand-Verfahren zu bekommen ist. Außerdem wollte ich nicht nur um meine eigenen Fotos herumkreisen, sondern mehr von den Menschen mit ins Heft bringen, die ich fotografiert hatte. Deshalb habe ich sie gebeten, einen kleinen Text über sich, Berlin oder ihren Lieblingsplatz dort zu schreiben. Und so gibt es jetzt immer Kapitel über Menschen, mit Texten, die sie selbst verfasst haben, zum Teil Liedtexte oder Gedichte, manchmal einfach Gedanken dazu, wie sie eigentlich nach Berlin gekommen sind. Diese Kapitel wechseln sich ab mit Momentaufnahmen der Stadt, als ich sie für mich entdeckte. 

Ich brauche immer recht lange, bis ich mich mit meinen eigenen Fotos wohlfühle. Deshalb lasse ich sie schon mal länger auf dem Computer liegen, um sicher zu gehen, dass ich nicht ein Foto auswähle, an das ich emotional angehaftet bin, weil ich mich an den Moment des Abdrückens erinnere, das aber ggf. technisch gar nicht meinen Vorstellungen genügt. Oder andersherum: Technisch perfekte Bilder verführen mich genauso, obwohl sie oft keine Gefühle vermitteln. Schwierig … und deshalb hat es auch etwa ein Jahr gedauert 🙂 

Das Buch ist verlinkt über meine Website unter https://www.larsgehrlein.com/print-magazin-ein-jahr-berlin/ oder direkt über den Print-on-Demand-Dienst https://www.blurb.de/b/9992888-ein-jahr-berlin. Mit 200 Seiten und fast 160 Fotos ist es recht umfangreicher als sonst geworden. Und der Druck sieht ziemlich gut aus.

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